KANN  MAN  DANN   NOCH  DARIN  SURFEN   ODER  GEHT  MAN  UNTER  –  OB   MAN  WILL  ODER  NICHT ?

Zur Wirksamkeit der Antiepileptika


Auf der Website der ILAE, der Internationalen Liga Gegen Epilepsie (http://www.ilae-epilepsy.org/) kann jeder nachlesen, welche wissenschaftlichen Nachweise weltweit für die Wirksamkeit der Medikamente gegen Epilepsie vorliegen.


Die Ergebnisse erstaunen :   Die Wirksamkeit in der Erstbehandlung mit einem einzelnen Medikament ist lediglich für 5 (fünf) Wirkstoffe nachgewiesen. Ein weiterer Wirkstoff wird als nur wahrscheinlich wirksam eingestuft.


Nur 50-60% der Betroffenen werden mit einem einzelnen Medikament anfallsfrei. Gehen die Anfälle weiter, dann wird mit Ersatz- oder Zusatzmedikamenten (zwei, drei und mehr) experimentiert. Dass dies wenig nützt, zeigt eine neue Studie an über 10.000 Betroffenen mit medikamentenresistenten chronischen Anfällen.


Folgt man den Hinweisen, dass jeder Anfall das Auftreten zukünftiger Anfälle bahnt, dann mutet es geradezu skandalös an, dass derart viele Betroffene weiterhin ausschließlich medikamentös behandelt werden, obwohl die Anfälle dadurch nicht weggehen. Zumindest bei solchen medikamentösen Misserfolgen sollte nicht weiter ignoriert werden, dass es wirkungsvolle psychologische Anfallsverhütungsmethoden gibt, die Betroffene selbst anwenden können und zwar gerade auch in der akuten Anfallssituation.


Nachfolgend erfahren Sie mehr zu diesem Thema.




Gehirnoperation bei der Hälfte der medikamentös nicht behandelbaren Betroffenen?

Die medikamentöse Behandlung mit Antiepileptika gilt bei vielen Medizinern und Menschen mit chronischen epileptischen Anfällen als die einzige wirksame Behandlung – vor allem bei erstmalig diagnostizierter Epilepsie. Wenn die Antiepileptika nicht helfen, dann bleiben, so scheint es, nur noch chirurgische Eingriffe als letztes Mittel der Wahl. In einer kürzlich erschienen Studie (Passaro & Jobe, 2010) werden 50% der medikamentös nicht behandelbaren Betroffenen als Kandidaten für eine Gehirnoperation in Betracht gezogen. Daneben wird noch ein anderer chirurgischer Eingriff, die Stimulation des Vagusnervs mittels einer eingepflanzten Elektrode, als weitere Behandlungsmöglichkeit dargestellt (man nennt dies auch manchmal einen „Hirnschrittmacher“).

Die medizinische Sichtweise verdeckt den Blick auf andere (ergänzende oder alternative) Behandlungsmethoden

Das alles hat zur Folge, dass diejenigen Betroffenen alleingelassen werden, die trotz Medikamenteneinnahme ihre Anfälle weiterhin bekommen und sich auch nicht einem chirurgischen Eingriff unterziehen wollen. Wie sich weiter unten zeigen wird, ist dies ein beträchtlicher Teil aller Menschen mit medikamentös schwer behandelbaren epileptischen Anfällen. Auch diejenigen Betroffenen, bei denen die Nutzen-Risiko-Abwägung gegen eine Fortführung der medikamentösen Behandlung spricht, erfahren meist nichts über ernstzunehmende alternative Methoden.

Aufgrund der nach wie vor weitverbreiteten Medizingläubigkeit wird noch nicht ausreichend wahrgenommen, dass es bereits seit Jahrzehnten psychologische Methoden gibt, die die Betroffenen mit und ohne medizinische Versorgung lernen und bei sich selbst anwenden können. Diese sind unter dem Begriff Anfallsselbstkontrolle bekannt und werden seit Jahrzehnten erforscht. Ihre Wirksamkeit wird auch von medizinischer Seite anerkannt (z.B. Uhlmann, 2004). Diese psychologischen Methoden können sowohl für sich allein, als auch zusätzlich zu den Antiepileptika eingesetzt werden. Es handelt sich dabei meist nicht, wie öfters befürchtet wird, um eine die persönliche Vergangenheit bemühende langwierige Psychotherapie, sondern um eine vor allem auf das Thema „Selbst bewirkte Anfallsverhütung“ fokussierte kurztherapeutische Maßnahme. Sie kommt für alle Menschen mit epileptischen Anfällen in Betracht, die ihre Behandlung in eigener Regie (zumindest ergänzend zur Medikation) durchführen wollen, somit also nicht nur für diejenigen Betroffenen, die trotz Einnahme von Antiepileptika ihre Anfälle weiterhin bekommen. Wie sieht es überhaupt mit der Wirksamkeit der Antiepileptika aus? Welche wissenschaftlichen Nachweise (Evidenz) gibt es dafür?

Die Wirksamkeit in der Erstbehandlung mit einem einzelnen Medikament ist lediglich für 5 (fünf) Wirkstoffe wissenschaftlich nachgewiesen

Auf der Website der ILAE, der internationalen Liga gegen Epilepsie (http://www.ilae-epilepsy.org/) kann sich jeder, der die englische Sprache beherrscht, darüber Aufschluss verschaffen, welche wissenschaftlichen Nachweise für die Wirksamkeit der Medikamente gegen Epilepsie weltweit vorliegen. Auf der Website der ILAE findet man unter der Rubrik „Resource Central“ die aktuell gültigen Richtlinien (Guidelines) über Antiepileptika (Antiepileptic Drugs) von Glauser et al. 2006. Sie sind das Ergebnis einer umfassenden Analyse.

Die Analyse ist übersichtlich in einer PowerPoint-Präsentation dargestellt (Ben-Menachem, http://www.ilae-epilepsy.org/Visitors/Documents/Guidelines-pptpresentation_001.ppt)

Die Ergebnisse zeigen Erstaunliches :  Die Wirksamkeit in der Erstbehandlung epileptischer Anfälle mit nur einem einzigen Medikament (Monotherapie) ist lediglich für 5 (fünf) Wirkstoffe nachgewiesen („established“). Ein weiterer Wirkstoff wird als nur wahrscheinlich wirksam eingestuft.

Nachfolgende Tabelle zeigt die Einzelheiten hierzu :  


Wirkstoff


Art der
epileptischen
Anfälle

Altersgruppe
(Jahre)

Qualität des
wissenschaftlichen
Nachweises

ILAE-Evidenz-
Level*

Oxcarbazepin



Anfälle mit
fokalem Beginn
(POS)

bis 16



Wirksamkeit
nachgewiesen


A



Carbamazepin



Anfälle mit
fokalem Beginn
(POS)

16-59



Wirksamkeit
nachgewiesen


A



Phenytoin



Anfälle mit
fokalem Beginn
(POS)

16-59



Wirksamkeit
nachgewiesen


A



Valproat



Anfälle mit
fokalem Beginn
(POS)

16-59



wahrscheinlich
wirksam


B



Gabapentin



Anfälle mit
fokalem Beginn
(POS)

60 und älter



Wirksamkeit
nachgewiesen


A



Lamotrigin



Anfälle mit
fokalem Beginn
(POS)

60 und älter



Wirksamkeit
nachgewiesen


A



* Das Evidenz-Level gibt die Qualität des wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweises an (A bezeichnet eine bessere Qualität als B)


Wie man sieht, sind die Wirksamkeitsnachweise ausschließlich nur für die Fokalen Epilepsien (mit und ohne sekundäre Generalisierung) erbracht, bei denen die Anfälle in einem umschriebenen Hirnareal beginnen. Epidemiologisch gesehen machen sie mehr als die Hälfte aller Epilepsien aus.

Für die etwas kleinere Gruppe der (primär) Generalisierten Epilepsien fehlen Wirksamkeitsnachweise der Evidenzlevel A und B (wirksam oder wahrscheinlich wirksam). Bei den Generalisierten Epilepsien wurden die 6 schon genannten Wirkstoffe und weitere 4 Wirkstoffe (Phenobarbital, Topiramat, Vigabatrin und Ethosuximid) lediglich als möglicherweise wirksam (Evidenzlevel C) beurteilt.

Was die ILAE für die Erstbehandlung mit nur einem Wirkstoff (Monotherapie) empfiehlt

Die ILAE empfiehlt, in erster Linie nur die 6 Wirkstoffe mit Evidenz-Level A oder B in der Monotherapie bei der Erstbehandlung von Epilepsien einzusetzen.

Diese Empfehlung stützt sich allerdings ausschließlich auf die Wirksamkeitsnachweise. Die Verträglichkeit ist hier nicht berücksichtigt. Da es keine umfassenden, systematischen Daten zu unerwünschten Wirkungen (Nebenwirkungen) gibt, sei es unmöglich, umfassende Richtlinien für die Empfehlung einer optimalen Erstbehandlung (als Monotherapie) zu entwickeln.

Die Autoren der ILAE-Studie betonen ausdrücklich, dass Ärzte und Patienten alle wichtigen Gesichtspunkte bei der Auswahl des Medikaments berücksichtigen sollten und nicht nur die Wirksamkeit.

Wenn die Monotherapie nicht zur Anfallsfreiheit führt :   Sind zwei oder drei Medikamente wirklich besser als nur eines?

Wenn die Monotherapie nicht zur Anfallsfreiheit führt, wird heute standardmäßig ein zweites Antiepileptikum hinzugenommen (Kombinationstherapie). Bisher war man der Auffassung, dass mit dem erwarteten zusätzlichen Effekt das zusätzliche Risiko zu vertreten ist, das der Patient durch die Nebenwirkungen von nunmehr zwei Medikamenten und deren etwaigen Wechselwirkungen in Kauf nehmen muss.

Eine momentan hochaktuelle Studie (Bevenburg et al., 2010) geht der Frage nach, wie groß der zusätzliche Effekt des Zusatzmedikaments tatsächlich ist, wenn man ihn mit dem Effekt vergleicht, den ein Scheinmedikament ohne antiepileptischen Wirkstoff (Placebo) hervorruft. Ihre Analyse beruht auf den Daten von 11 106 Kindern und Erwachsenen mit refraktärer Epilepsie, d.h. einer Epilepsie, die nicht erfolgreich mit Medikamenten behandelbar ist (eine enorme Anzahl von Betroffenen, die im Widerspruch zu der Werbung mancher Arzneimittelhersteller steht, dass Antiepileptika hochwirksam seien).

Das Ergebnis der Studie ist ernüchternd. Wenn man die Wahrscheinlichkeiten vergleicht, unter dem Zusatzmedikament oder unter dem Placebo anfallsfrei zu werden, dann erhält man eine Differenz von lediglich 6% zugunsten des Zusatzmedikaments. Das bedeutet, dass der Reineffekt des Zusatzmedikaments darin besteht, dass nur ganze 6% der Menschen, bei denen die Monotherapie erfolglos war, unter Hinzunahme eines zweiten Antiepileptikums anfallsfrei werden.

Dies allerdings mit dem erhöhten Risiko, das bei der Kombinationstherapie darin besteht, dass der Patient dabei die Nebenwirkungen von nunmehr zwei Medikamenten und deren etwaige Wechselwirkungen in Kauf nehmen muss.

Ergeben Monotherapie und Kombinationstherapie zusammen mehr wissenschaftliche Evidenz für die Wirksamkeit von Antiepileptika?

Betrachtet man die beiden Studien zusammen genommen (die Studie der ILAE und die Studie von Bevenburg et al., 2010), dann ist einerseits die Wirksamkeit der Erstbehandlung mit nur einem Wirkstoff (Monotherapie) nur bei 6 antiepileptischen Wirkstoffen belegt, andererseits ist eine Zweitmedikation nur sehr wenig wirksam. Beides gilt in Bezug auf das wichtigste Wirksamkeitskriterium :  die Anfallsfreiheit.

Angesichts dieser Ergebnisse wundert es nicht, dass 40-50% der Betroffenen unter Medikamenten weiterhin Anfälle bekommen und von denjenigen, die unter Medikamenten anfallsfrei wurden, nach Einschätzung der deutschen Epilepsievereinigung nur 25% nach drei Jahren immer noch anfallsfrei sind.

Scheitert die Erstbehandlung, dann droht die Chronifizierung der Anfälle

Das entscheidende Erfolgskriterium ist die Anfallsfreiheit. Diese wird aber nur bei rund der Hälfte (50%-60%) der medikamentös Behandelten erreicht (Schmidt, 2006, Mitautor der Bevenburg-Studie).

Bei der anderen Hälfte, d.h. den 40%-50% der Menschen, die weiterhin Anfälle haben, hat das verständlicherweise Auswirkungen auf ihre Lebensqualität. Besonders, wenn die Anfälle weiterhin häufiger auftreten (ab 10-12 Mal jährlich), bringt dies auch eine ganze Reihe von Risiken mit sich, nicht nur eine messbare Verminderung der allgemeinen Lebensqualität mit ihren Auswirkungen auf die Psyche der Betroffenen, sondern auch zusätzliche Erkrankungen (sogenannte Komorbidität), z.B. einem höheren Verletzungsrisiko und einer bedenklichen Verringerung der mittleren Lebenserwartung wegen vermehrt auftretender plötzlicher Todesfälle (SUDEP, Passaro & Jobe, 2010).

Es gibt außerdem eine Vielzahl von Hinweisen, dass jeder Anfall das Auftreten zukünftiger Anfälle bahnt. Dadurch werden die Anfälle chronisch, treten in kürzeren Abständen oder/und auch mit größerer Heftigkeit auf. Alle diese Hinweise lassen sich in ein Modell des „Anfallslernens“ integrieren.

Es geht um das Wohl der Betroffenen

Wer das Wohl der Betroffenen in den Mittelpunkt stellt, für den sollte es selbstverständlich sein, gerade im Anfangsstadium einer Epilepsie konsequent über alle verfügbaren Behandlungsmöglichkeiten zu informieren und nicht wie heute noch üblich ausschließlich nur über Medikamente. Auch einer interdisziplinären Zusammenarbeit sollte heutzutage nichts mehr entgegenstehen.

Vor allem dann, wenn mit Medikamenten kein rascher Erfolg erzielt wird, darf den Betroffenen nicht vorenthalten werden, dass sie es lernen können, der Gefahr der Chronifizierung selbst auch mit anderen Mitteln entgegenzuwirken.

Lesen Sie mehr über das epileptische Anfallsgeschehen und wie Anfälle das Auftreten zukünftiger Anfälle begünstigen können auf unserer Seite „Epileptische Anfallsmuster werden gelernt“.

Wie die Wirksamkeit der Antiepileptika nachgewiesen wird und welche Mängel viele der Nachweisstudien haben erfahren Sie auf unserer Seite „Wirksamkeitstests oft untauglich

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